Esther Grau

inspired by dreams

Welttag der Poesie

März21

Zum Welttag der Poesie ein Theodor-Fontane-Gedicht (aus seinen Liedern und Sprüchen):

Der echte Dichter

(Wie man sich früher ihn dachte)

Ein Dichter, ein echter, der Lyrik betreibt,
Mit einer Köchin ist er beweibt,
Seine Kinder sind schmuddlig und unerzogen,
Kommt der Mietszettelmann, so wird tüchtig gelogen,
Gelogen, gemogelt wird überhaupt viel,
‘Fabulieren’ ist ja Zweck und Ziel.

Und ist er gekämmt und gewaschen zuzeiten,
So schafft das nur Verlgenheiten.
Und ist er gar ohne Wechsel und Schulden
Und empfängt er pro Ziele ‘nen halben Gulden
Oder pendeln ihm Orden am Frack hin und her,
So ist er gar kein Dichter mehr,
Eines echten Dichters eigenste Welt
Ist der Himmel und – ein Zigeunerzelt.

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Leipziger Buchmesse – erste Impressionen

März14

Auf die Buchmesse stimmte eine literarische Stadtführung am Mittwoch ein. Am Treffpunkt, zu Füßen Goethes, erzählte “die Leipzigerin”, dass keinem anderen Studienabbrecher so ein schönes Denkmal gesetzt worden sei (Goethe studierte Jura in Leipzig, machte aber keinen Abschluss). Wir erfuhren, dass Leipzig  lange bevor die Buchstaben dank Gutenberg das Laufen lernte quasi eine Buchmessestadt war: Früher handelte man eben mit Handschriften. Der Rundgang durch die Stadt führte an die ehemaligen Pforten vieler Literaten (darüber bei Gelegenheit mehr).

Donnerstag dann zum ersten Mal in die Leipziger Messehallen. Die Sonne ließ die lichtdurchflutete Glashalle und die Glastunnel (Ameisenfeeling!) zwischen den Messehallen  leuchten.

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Im Vergleich zur Frankfurter Buchmesse wirkt die Leipziger Buchmesse auf angenehme Weise kleiner und kuschliger. Trotzdem gibt es immer noch eine Menge Messetrubel …

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Lieblingsliteraturlinks (5)

März7

Traumtorte gefunden! In dieser Büchertorte verbinden sich Kuchen- und Literaturliebe aufs Schönste. Könnte bei mir jeden Sonntag auf dem Tisch stehen.

Vom Buch zum Bibliothekar, der alles andere als langweilig sein oder zumindest aussehen muss.

Überholt sind womöglich auch bald unsere Lesegewohnheiten, denn künftig kann man beim Lesen spritzen. Interessantes Konzept.

Das grandiose #Leargram-Projekt ist zwar gerade vorbei, kann aber noch eingesehen werden: Shakespeares King Lear auf Instagram; zu jeder Textzeile wurden Fotos gesammelt – was für ein Zeitsprung.

Einen ebenfalls ungewöhnlichen Werkszugang gibt es hier: Darwins Leben als Gedicht.

Der Sprichwortrekombinator macht Laune und bringt erstaunliche Weisheiten hervor. Getestet: Besser einäugig als Schrecken ohne Ende.

Zum Schluss keine Literatur, sondern Bach, weil er  so schön mit Füßen getreten wird.

Lieblingsliteraturlinks (4)

Februar21

Es läuft! Es Läuft! Bis jetzt an mir vorbei … noch bis zum 24. Februar findet das australische Digital Writers’ Festival statt. Das Schöne daran: Man kann sich ins ferne Melbourne streamen und z. B. am Samstag bei der Veranstaltung The Book of the Night teilnehmen, wenn 12 Autoren in 12 Stunden 12 Kapitel dieses gemeinsamen Werkes live verfassen. Das nenne ich mal writing in progress. Für uns wegen der Zeitverschiebung (minus 10 Stunden) eine Tagesveranstaltung, d. h. Samstag ab 9.00 Uhr morgens (via australianpostcard).

Textwärts macht sich kluge Gedanken über das (Nicht)-Schreiben-Müssen, plädiert gegen den inneren Deutschlehrer und für die eigene Sprache.

Typewriterspotting ist aber auch schönes Hobby. Einfach gucken und andere schreiben lassen (via mokita)

Um eine gar nicht so seltene Phobie geht es hier – und wer hätte nicht schon einmal Book fear erlebt?

Surfen kann man nicht nur im Internet oder Meer: Reiseliteratur in diesem Film einen ganz anderen Klang.

In Sinahars Wortschatz hat sich aktuell der Pinöppel gesammlt, für den es erstaunlich viele Synonyme gibt.

Einen bezaubernden Garten für kleine Bücherwürmer hat Leander Wattig gefunden.

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Lieblingsliteraturlinks (3)

Februar16

Zum Frühstück gibt es frischgebackene Literaturlinks. Für die gute Laune vielleicht erst einmal über den ungewöhnlichsten Buchtitel in diesem Jahr abstimmen?

Ägyptologen, Ingenieure und Mediziner: Schriftstellerlebensläufe sind bunt und selten gradlinig. Nicht um die Anfänge, sondern um das Ende einer Schreibkarriere geht es dagegen im Folgebeitrag: Schriftsteller Philip Roth zieht sich vom Schreiben zurück (via Buzzaldrins Bücher).

Was wir aus Kinderbüchern lernen können, fasst dieser Artikel anschaulich zusammen.

Das Tagebuch eines enttäuschten Buches enthüllt sich als Kurzfilm (wenigstens der Sommer schien schön).

Den Rest des Tages kann man wahlweise im diesjährigen Programm der Leipziger Buchmesse, das jetzt online ist, stöbern oder bei verschiedenen Buchexperten vorbeilesen (endlich eine übersichtliche Liste!).

Lieblingsliteraturlinks (2)

Februar2

Vom Tagträumen zum Schreiben: Fünf Schriftsteller erzählen, wie sie zum Schreiben gekommen sind (und es sind nicht unbedingt die, die es schon immer wussten und werden wollten).

Kafka gibt’s bald nicht nur zum Lesen, sondern auch zum Spielen. Surreales eignet sich offenbar hervorragend als Storytelling in Videospielen. Der liebevoll gemachte Trailer sieht jedenfalls vielversprechend aus.

Originalitätspunkte gibt’s bei dieser Sammlung kreativer Buchtitel. Da fehlt nur noch Walter von Lucadous Geister sind auch nur Menschen.

Die Ideen vor dem Schlafengehen sind oft die besten, weil im sogenannten hypnagogen Zustand die Grenzen zwischen bewusst und unbewusst verschwimmen. Eine Fundgrube der Kreativität, die aber leider stark gefährdet ist – von Vergessen, Bequemlichkeit und Müdigkeit. Das Video zeigt eine pfiffige Abhilfe, die man sicher leicht in einer kleinen Laubsägearbeit nachgestalten kann.

Eine sehenswerte Neuinterpretation der Unendlichen Geschichte – zumindest ihrer Charaktere – vielleicht wird ja mal mehr daraus.

Die Kinderbuchautorin und Illustratorin Debbie Redpath Ohi kreiert zauberhafte Objekt Doodles.

Wurzelwörtchen und undeutsche Säcke – Brentano: Das Märchen vom Murmeltier

Januar19

Bei einer mobilen Märchenstunde las ich neulich Das Märchen vom Murmeltier des romantischen Dichters Clemens Brentano (1778-1842) und stieß dabei unverhofft auf einen historischen Schatz, der heute als unterhaltsames Zeitzeugnis gelten kann.

Brentanos Märchen kommt zunächst als nette Variante von Aschenputtel daher, denn das “Murmeltier” ist ein armes Hirtenmädchen, das von Mutter und Schwester ordentlich getriezt wird. Neben zahlreichen Binnenerzählungen enthält das Märchen aber auch einen heute eher amüsanten Beleg für die damaligen Bemühungen um Sprachbereinigung.

Unter Napoleons Herrschaft war der französische Spracheinfluss über die deutschen Lande geschwappt, sodass sich Romantiker wie die Gebrüder Grimm und Clemens Brentano bemüßigt fühlten, das deutsche Kulturgut zu bewahren. Dieses sprachliche und teilweise sprachwissenschaftliche Bestreben ließ Brentano auf hübsch anschauliche Weise in sein Märchen einfließen.

In der folgenden Szene geht es um den Müller Kampe, der sich über allerlei günstige Umstände in seinem Leben wundert und gerade als er einen vermeintlichen Maulwurf plattmachen will, begegnet ihm die Frau des Lebens (man beachte den Dativ im zweiten Satz!).

›Ich halte dich beim Wort, mein lieber Kampe! umarme mich, ich bin das deutsche Erdfräulein und heiße Wurzelwörtchen; immer hab ich dich geliebt wegen dem schönen, reinen und richtigen Deutsch, das du sprichst, und habe dich deswegen mit Segen überschüttet; werde mein Gemahl, so soll dein Glück sich immer mehren.‹ Meister Kampe zögerte nicht lange, er schlug ein, und sie heirateten sich. Nach einem Jahr schenkte Wurzelwörtchen dem guten Müller Kampe einen Sohn, der Voß hieß und sehr bald sprechen, aber wie sprechen lernte: so schön, so richtig, so rein, daß auch kaum ein Härchen fehlte, daß man ihn gar nicht verstanden hätte. Dieser Sohn wuchs heran; er war ungemein tiefsinnig und still; er spintisierte bald alles aus und richtete die Mühle besser ein, daß die Räder auch so richtig klapperten, daß nicht eine Sekunde am Schlag fehlte. Sein Vater wollte, er sollte sich ganz allein mit der Mühle abgeben, damit er selbst studieren könne, aber das ging nicht. Voß hatte einen viel größeren Trieb zum Studieren als sein Vater, und wartete nur eine Gelegenheit ab, diesem zu zeigen, daß er gegen seinen Sohn doch nur ein dummer Müller sei. Als nun Kampe mit seiner Frau Wurzelwörtchen einstens im Garten saß und neue Worte machte, trat Voßchen auf einmal hervor und las ihnen dreimalhunderttausend neue deutsche Wörter vor, an die der gute Meister Kampe nie gedacht hatte; und der Vater ward durch diese Gelehrsamkeit seines Sohnes so bestürzt, daß er in den Armen der Frau Wurzelwörtchen auf der Stelle verblich. ›Lebe wohl, mein Sohn!‹ sagte die Erdfrau; ›dein Vater ist durch dich gestorben, drum muß ich von dir scheiden; aber weil du unschuldig daran bist, so sollen dir meine Geister doch immer dienen.‹ Somit nahm sie ihren Gatten in die Arme und sank mit ihm in die Erde. Voß machte sich nicht viel daraus; er arbeitete immer darauflos und ward täglich finsterer und menschenscheuer; ja, je weiter er in der Sprache kam, je mehr hütete er sich, sie zu sprechen, um sie nicht zu verderben und zu beschmutzen. Nun wurde ihm der große Zulauf zu seiner Mühle immer lästiger, weil der Mehlstaub ihm alle die schönen neuen Wörter und Redensarten bestaubte, die er täglich ausdachte, und er machte sich dran, den Zugang zu seiner Mühle auf alle mögliche Weise zu erschweren, was er auch mit Hilfe seiner Erdgeister so zustande brachte, daß fast niemand mehr zu ihm gelangt.

Clemens Brentano: Werke. Bd. 3. München [1963–1968]. S. 232-266.

Das Märchen ist auch ein schöner Beleg für Sprachwandel, der alle damaligen Bemühungen, vor allem die französischen Wörter im deutschen Sprachgebrauch auszusieben, zunichte machte. So wird im Märchen jeder Besucher des Müllers gewarnt: „… […] vor allem hüte dich, ein undeutsches Wort zu sagen, und statt Sack sage Beutel“ (S. 247).

Offensichtliches hat das Tam-Tam der Romantiker um die deutsche Sprachreinheit den Sprachwandel nicht aufgehalten: Für uns ist der Sack so deutsch wie der Beutel.

Brentanos Märchen gibt es beim Goetheinstitut als PDF-Download. Ich selber habe es als Teil der App Hausbibiothek gefunden, die viele weitere Klassiker  für die mobile Märchenstunde enthält.

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Lieblingsliteraturlinks

Januar16

In den letzten Tagen sind mir so viele schöne Literaturlinks zugeflogen, dass ich sie hier festhalten und bündeln möchte.

Hier kann man Dostojewskis Kritzeleien sehen, die sich mitten in seinen Manuskripten finden. Er hat seine Figurenzeichnung für seine Romane wohl wörtlich genommen, statt am Buchstaben zu kleben.

Wer lieber ein paar explizite Anregungen für das eigenen Schreiben sucht, liest vielleicht die 20 Schreibtipps von Terry McMillan durch. Persönlich fand ich Nr. 19 einen guten Aspek (Nichts gegen die Krimifraktion).

BBC erzählt die Geschichte, wie Absinth zur “grünen Fee” und so zur Inspiration vieler Dichter wurde. Oscar Wilde, Rimbaud, Baudelaire, Paul Verlaine und Emile Zola hörten regelmäßig auf diese Muse.

Bücher fürs Auge zeigt diese skurile interaktive Buchinstallation, die derzeit in der Bristol Library zu sehen ist. Steampunk, yeah!

Den interativen Erlebnischarakter des Buches betont auch Thadeus Roth hat sich mit seinen Erlebnisgeschichten. Dieses Alternate Reality Game verwischt die Grenzen zwischen literarischer Fiktion und Wirklichkeit, sodass der “Leser” mit einem Mal mitten in der Geschichte steckt und mitspielt. Großartiges Konzept.

Darüber hinaus wurde angeblich die wissenschaftliche Bestsellerformel gefunden. Aber ehe die Begeisterung zu hohe Wellen schlägt: Es wurde lediglich untersucht, ob Zusammenhänge zwischen kommerziellem Erfolg und statistisch ausgewertetem Schreibstil existieren. Dabei ging es auch nicht um zeitgenössische Bestseller, vielmehr bestand die Stichprobe aus Werken des Projekts Gutenberg. Der Artikel verrät nicht zu viel über die Ergebnisse, enthält aber einen Link zur kompletten Studie. Nur so viel: Anders als Schreibratgeber raten, konnten eher mehr Adjektive als mehr Verben den Erfolg vorhersagen.

Grimm reloaded

Januar8

Märchen sind zeitlos, aber so ein Klassiker verträgt schon mal ein Make-over, oder? Das dachte zumindest das Goetheinstitut New Zealand und rief Australier zu modernen Adaptionen märchenhafter Stoffe auf: Red Riding Hood, Rapunzel oder Rumpelstiltskin – australische Märchen 2013 nach Art der Grimms 1813.

14-Grimms Bib

Im Grimm-Jahr 2013, das bekanntlich den 200. Geburtstag der Erstveröffentlichung von Grimms Märchen feierte, trugen  australische Märchenerzähler neue Geschichten zusammen.  Nach dem Vorbild der Gebrüder Grimm, aber nicht zu eng an ihren Vorlagen, entstanden neue Märchen, in denen Elemente australischer Kultur, Märchen und Mythen ausdrücklich erwünscht waren.

Die Titel der neuen Märchensammlung klingen so, als sei das Vorhaben gelungen. The student and the backpacker oder The seven kites of Matariki erzählen jedenfalls zauberhafte Geschichten vom anderen Ende der Welt. Und darum ging schließlich damals auch den Grimms: Regionales Märchen gut aufzuschreiben, damit es nicht verloren geht.

Once upon a time beginnen die Märchen natürlich trotzdem und bieten viel Lesefutter für digitales Schmökern an langen Winterabenden. Ein schönes Projekt!

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Buchextrakt (34) Charles Yu: Handbuch für Zeitreisende

März26

Der Protagonist, der denselben Namen wie der Autor trägt, verdient nach einem “Masterstudium in angewandter Science-Fiction” sein Geld mit der Reparatur von Zeitreisemaschinen. In seine Geschichte sind Auszüge aus dem eigentlichen Handbuch für Zeitreisende eingeschoben, wie dieser über unsere Welt:

SF-UNIVERSUM, UNFERTIGKEIT

Klein-Universum 31 wurde im Verlauf seiner Konstruktion leicht beschäfigt. Infolgedessen hat der Erbauer-Entwickler, der im Besitz der Rechte ist, die ursprünglichen Pläne für den Raum aufgegeben.

Als die Arbeiten eingestellt wurden, war die Physik erst zu 93 Prozent installiert. Deshalb werden Sie womöglich feststellen, dass es hier und dort ein bisschen unberechenbar zugeht. Doch in der Regel sollten Reisende während ihres Aufenthalts mit einem handelsüblichen quantenrelativitätsbasierten Kausalprozessor problemlos zurechtkommen.

Die vom KU-31-Ingenieurteam hinterlassene Technologie ist zwar nicht vollständig entwickelt, aber erstklassig. Letzteres kann man von den menschlichen Bewohnern, die offenbar ein Gefühl der Unvollkommenheit zurückbehalten haben, allerdings nicht behaupten (S. 26).

Das Buch bleibt weder so technisch noch so lustig-locker, wie es am Anfang daherkommt. Spätestens wenn Yu von seiner Mutter erzählt, die freiwillig in einer Zeitschleife, der “Sci-Fi-Version des betreuten Wohnens” lebt, schluckt man als Leser schon mal. Sie erlebt dieselbe Stunde eines familiären Abendessens mit virtuellen Versionen von Sohn und Mann immer wieder. Freier Wille inklusive, aber sie hat trotzdem zehn Jahre im Voraus bezahlt. Der Witz daran: Die Simulation entspricht nicht einmal einer “echten” Erinnerung, sondern nur einer ersehnten Idealsituation.

So viel also von Zeitmaschinentechnik die Rede ist, wird doch deutlich, dass unser aller Erinnerungsvermögen die eigentliche Zeitmaschine darstellt. Das Buch spielt mit dem Wechsel dieser beiden Ebenen. So dreht sich ein Großteil der Geschichte um die Aufarbeitung von Yus Erinnerungen an seinen Erfinder-Vater, mit dem er erfolglos an Zeitmaschinenen bastelte – bis der Vater verschwand … Und natürlich gerät der Protagonist irgendwann selbst in eine Zeitschleife.

Ein ungewöhnliches Buch, das sich schon aufgrund seines originellen Zugangs, der Montagetechnik und immer neuer Perspektiven zu lesen lohnt.

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