Esther Grau

inspired by dreams

Die Mühen der Federführung

Oktober20

Auf einer Computertastatur blind im Zehn-Finger-System zu schreiben, wäre der kurzsichtigen Dichterin Annette von Droste-Hülshoff sehr entgegen-gekommen. Stattdessen plagte sie sich mit der Feder – und auch da gab es Qualitätsunterschiede:

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“Lieb Lies, ich plage mich wie ein armer Hund mit meinen schlechten Stahlfedern und habe schon ein ganzes Kästchen durchprobiert, aber alle wollen entweder die Dinte nicht lassen, oder haben immer von Neuem Haare im Schnabel, als wenn ihnen ein Bart nachwüchse. Glückselig, wer mit Gänsekielen schreiben kann! ich kann’s nicht, denn ich verstehe sie nicht zu schneiden, und Mama ebensowenig.”

Quelle: Brief an die Freundin Elise Rüdiger vom 14.11.1845

Wie kompliziert die Herstellung der Federkiele tatsächlich war, kann man hier nachlesen.

“Ich werde leider täglich mehr zur Fledermaus”

September16

Träumerisch mutet die Schreibumgebung auf Gut Abbenburg an, wie sie Annette von Droste-Hülshoff beim Verwandtschaftsbesuch im westfälischen Brakel-Bellersen erlebt. Obwohl ihr der Kopf vor allerlei Ungemach brummt, schildert sie ihrer Bonner Freundin Billa, “Rheingräfin” Sybille Mertens-Schaaffhausen, die zauberhafte Kulisse in einem notgedrungen konfusen Brief aus dem Jahr 1843:

Jetzt hat sich mir der Krankheitsstoff wieder auf den Kopf geworfen, der mir den ganzen Tag summt und siedet wie eine Teemaschine – Ohr, Zahn, Gesichtsschmerz – ich möchte mich zuweilen, wie jener Halbgeköpfte (Kindermärchen von Grimm), bei den Haaren nehmen und mein weises Haupt in den Fischteich unter meinem Fenster werfen, wo es ihm wenigstens kühl werden würde. Erwarte also nur konfuses Zeug in diesem Briefe, denn ich bin halb simpel vor Duseligkeit, und muss bei jeder dritten Zeile aufspringen, um das Blut sinken zu lassen. […]

Hier würde es mir sonst recht gut gehn, alles ist freundlich, Gegend, Haus, Wetter und Menschen. Haben wir kein Siebengebirge, so haben wir doch sehr anmutige Hügel mit prächtigen Steinbrüchen, wo ich heraushämmern könnte, was mein Herz nur verlangt, und statt eigentlicher Parks doch wenigstens hübsche Spazierwege durch Laub- und Nadelholz, und einige sogar imposante Baumhallen, wo ich sehr gern arbeiten möchte […].

Gutes Herz, wärst Du hier, es wäre doch, trotz allen Schmerzen, charmant in Abbenburg. Ich habe hier ein nettes heitres Quartier, unter den Fenstern eine hübsche Blumenterrasse mit Springbrunnen, und allerlei reizende Plätzchen in der nächsten Umgebung, —z. B. gleich vor mir einen Eichwald, mit großem Teiche und Insel darin, wo eine gewaltige Linde ihre Zweige fast auf den Boden senkt, und es sich auf den Sitzen gar anmutig über dem Wasser träumen läßt; dann noch eine andre, etwas entferntere Anlage, die sehr gut unterhalten, aber von niemanden besucht wird, da wäre alles unser Eigen, Baumhallen, Sitze, das hübsche Zelt, bloß für uns Zweie, um es nach Belieben mit den Bildern unsrer Liebsten zu bevölkern, oder zu einer Robinsons-Einsamkeit zu machen.

Ich werde leider täglich mehr zur Fledermaus, zwischen Licht und Dämmerung, das ist meine rechte Zeit, und übrigens allein oder zu zweien, was darüber, ist vom Übel, und ich möchte immer, wie ein travestierter Hamlet, sagen: „Träumen, Träumen! Vielleicht auch Schlafen!“ […].

Geschmackssache

April7

Im Winter 1841/1842 lebt Annette von Droste-Hülshoff im Alten Schloss in Meersburg am Bodensee bei ihrer Schwester Jenny. Levin Schücking arbeitet zu dieser Zeit für Annettes Schwager Laßberg in der Bibliothek der Burg. Es ist eine Phase höchster Kreativität für die Droste, in der sie täglich Gedichte schreibt und promptes Feedback dazu bekommt – das allerdings recht unterschiedlich ausfällt:

Jeden Abend um Acht […] lese ich Jenny und Schücking vor was ich den Tag geschrieben, sie sind Beyde sehr zufrieden damit, aber leider von so verschiedenem Geschmacke, daß der Eine sich immer über das am meisten freut, was dem Andern am wenigsten gelungen scheint, so daß sie mich ganz confus machen könnten, und ich am Ende doch meinen eignen Geschmack, als letzte Instanz, entscheiden lassen muß.

Brief an Therese von Droste-Hülshoff vom 28.01.1842

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Eine seltsame Osterbegegnung

März27

„Leiser Gesang weckte Annette aus leichtem Schlaf. Nicht das Zwitschern de Vögel in der ersten Morgenröte ertöne, sondern menschliche Stimmen, die sich zu feierlichen Klängen erhoben. Die Osternacht war angebrochen.

Annette tastete sich hinaus auf den Flur an ein Fenster, das zum Hof zeigte. Mitternacht musste gerade vorüber sein, denn unten im Hof hatten sich schon Hülshoffs Bedienstete versammelt. Wie jedes Jahr fanden sie sich im Kreis zusammen, um die Osternacht mit Lobpreis zu feiern. Im Licht der wenigen Laternen erkannte Annette vom ersten Stock aus nicht alle, aber doch die Köchin und Franz, den Gärtner neben ihr. Die jungen Stallknechte standen in der Nähe von Kristine, Dine und Trudchen, den Haus- und Küchenmädchen. Aber heute trieben sie keinen Schabernack mit ihnen, sondern sangen in gemeinsamer Inbrunst ein Lied zur Auferstehung des Herrn. Der fromme Gesang aus den vereinten Kehlen zog wie eine Verheißung durch die klare Nacht. Den schönen Sopran von Mutters Kammerjungfer Lisette hörte Annette heraus, auch ohne sie zu sehen.

Annette lehnte sich mit der Stirn an den Fensterrahmen, um so nah wie möglich an das lustige Treiben im Hof heranzukommen. Sie wünschte sich mitten hinein in das bunte Spektakel.

Plötzlich hörte Annette die Haustür unter sich knarren. Welcher Nachzügler kam da zu spät? Neugierig kniff Annette die Augen zusammen, um die schmale Gestalt im weißen Nachthemd zu erkennen. Helles, aufgelöstes Haar fiel ihr über die Schultern. Sie trug einen Leuchter mit Kerzen, sodass Annette gleich erkannte, wer da die wenigen Stufen von der Haustür in den Hof hinabstieg. Ihr Herzschlag setzte aus.

Sie sah in ihr eigenes Gesicht.

Ohne ihren Gesang zu unterbrechen, machte das Gesinde der Nachtgestalt Platz, trat sogar rechts und links zur Seite, um sie hindurchzulassen. Denn offenbar wollte sich die Gestalt nicht ihrem Kreis anschließen, sondern strebte quer über den Hof dem anderen Hausflügel zu. Fassungslos sah Annette ihr nach. Sie stand wie gelähmt. Unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen. Annettes Augen folgten dem Kerzenlicht, das jetzt im Haus verschwand. Der Schein der Kerzen wanderte als tanzendes Flämmchen hinter den Fenstern umher. Verwundert sah Annette sie schwächer werden, bis sie sie nicht mehr erkennen konnte. Nun lagen die Räume wieder in Finsternis, als hätten sie nie einen Geist gesehen.

Schließlich endeten die Gesänge, der Gesindekreis löste sich in feierlicher Stille auf. Nachdenklich schlich Annette zurück in ihr Bett, wo sie lange wartete, bis Schlaf sie übermannte.

Erst Jennys lautes Klopfen weckte am nächsten Morgen.

„Wir sitzen schon alle am Frühstückstisch“, ließ die Schwester Annette wissen und half ihr beim Anziehen.

Annette erwähnte ihr nächtliches Erlebnis mit keiner Silbe, dachte aber die ganze Zeit darüber nach. In der hellen Morgensonne kam ihr die Doppelgänger-Erscheinung nur allzu unwahrscheinlich vor. Vielleicht war sie im Flur halb eingeträumt, müde, wie sie war. Oder der flackernde Laternenschein hatten ihren schlechten Augen einen Streich gespielt und sie hatte nichts anderes als eine der Mägde im Nachthemd gesehen.

„Hast du heute Nacht auch den Ostergesang gehört?“, fragte sie Jenny vorsichtig.

„Nein, ich habe fest geschlafen. Und jetzt komm.“

Die Schwester verließ das Zimmer, um der Familie anzukündigen, dass nun auch Annette geruhte, bald zu erscheinen.

Obwohl sie so spät dran war, huschte Annette noch vor dem Frühstück rasch zur Haustür hinaus, weil sie Gärtner Franz auf dem Hof entdeckt hatte. Sie grüßte ihn freundlich und er wünschte Annette frohe Ostern.

„Nun, habt ihr in der vergangenen Nacht wieder den Ostermorgen besungen?“

„Freilich.“ Der Gärtner nickte irritiert, „das gnädige Fräulein ist doch selbst zu uns hinausgekommen. Wir wunderten uns darüber und waren bange, dass Sie sich erkälten würden.“

Annette starrte ihn wortlos an.“ (Grimms Albtraum, S. 93-95)

Nachtschicht für die Dichterin

März9

Annette von Droste-Hülshoff schickt Levin Schücking einige Gedichte, die er sich für seine Arbeit erbeten hat, mit folgendem Kommentar über die widrigen Umstände ihrer Entstehung:

“Machen Sie damit, was Sie wollen, d. h. drucken Sie es oder nicht; ich mache gar keine Prätensionen mit diesen Gedichten, die in einem Wirrwarr gemacht sind, wie ich desgleichen nie erlebt und nie wieder zu erleben hoffe. Seit zwei Monaten, wo der Onkel so weit hergestellt ist, dass er täglich einige Stunden Besuch ertragen kann, ist’s hier zum schwindligwerden. Alle Tage 3–4 Besuche und jeder 3–4 Mann stark: neun verwandte Familien, vier benachbarte, nebst diversen Pastoren, die sich alle einbilden, jede Woche wenigstens einmal nachsehn zu müssen, wie die Besserung fortschreitet. Der Onkel hat’s bequem: sobald ihm der Lärm zu arg wird, zieht er sich als Rekonvaleszent in seine Privatzimmer zurück, wohin niemand folgen darf; aber Mama und ich führen ein wahres Schenkwirtsleben – wir liegen oft noch im Bette, wenn schon ein Wagen anrollen kömmt, und alle bleiben bis zum späten Abend. Denken Sie, Mama’n bekömmt dies Leben à merveille; sie ist so kregel wie ein Bienchen geworden, und wenn ich an Rüschhaus denke, wo ihr eigentlich jeder Besuch zu viel war, so steht mir der Verstand still.

Ich hingegen kann’s gar nicht aushalten; ich bin den ganzen Sommer leidend gewesen und muss mich täglich über Nacht aufrappeln. Wenn ich mich darin zugäbe, könnte ich jeden Abend bitterlich weinen. […]

Ich habe die Gedichte abends im Bette machen müssen, wenn ich todmüde war; es ist deshalb auch nicht viel Warmes daran, und ich schicke sie eigentlich nur, um zu zeigen, dass ich für Sie, liebster Levin, gern tue, was ich irgend kann. Zum Durchfeilen ist mir nun vollends weder Zeit noch Geistesklarheit geblieben, doch sind mir, wie Sie sehen, unter dem Schreiben allerlei Varianten eingefallen, unter denen Sie – falls Sie die Gedichte aufnehmen, was ich aber, aufrichtig gesagt, nicht erwarte – wählen mögen.”

Abbenburg, 25. August 1845

Winterpoesie

März3

Aus einem Brief der Annette von Droste-Hülshoff an Levin Schücking:

“Meine Gedichte werden denn doch gegen Ostern erscheinen können. Bis vor kurzem habe ich wenig daran getan, aber seit es draußen kalt und kotig geworden ist, habe ich mich in meine Winterpoesie gehüllt; es ist doch sonderbar, dass zum Dichten eigentlich schlechtes Wetter gehört, ein neuer Beweis, dass nur die Sehnsucht poetisch ist und nicht der Besitz.”
Rüschhaus, 10.10.1842

Vorankündigung: Signierstunde auf der Leipziger Buchmesse

Februar12

Am 20.03.16 bin ich ab 12.00 Uhr am Stand des acabus Verlags (Halle 5, Stand D504). Wer mag, lässt sich “Grimms Albtraum” signieren, nimmt sich einen Keks oder kommt einfach auf einen Droste-Plausch vorbei. Ich freu mich auf euch!

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Kölner Karnevalsvergnügungen anno 1826

Februar4

Im Jahr 1826 stürzte sich Annette von Droste-Hülshoff in den Kölner Karneval  – und schreibt ihrer Schwester davon:

“Freylich habe ich lange nicht geschrieben, liebe Jenny, und habe es auch durchaus nicht gekonnt, von wegen der Carnevalsvergnügungen […]. Cöln ist im Winter äußerst angenehm -ich habe einige Bälle besucht, wo ich aber den Leuten den Aberglauben, daß ich von wegen meiner subtilen Figur gut tanzen müßte, gelassen habe, nämlich dadurch, daß ich gar nicht getanzt habe, als allenfalls nurmahl herum gewalzt, – die Bälle sind hier äußerst brillant, selbst das gewöhnliche Local ist sehr groß, und am Carneval-Montag wurde auf dem Kaufhause, genannt der Gürzenich, getanzt, wo mehrere tausend Menschen auf der Redoute waren, – es war wieder ein großer Aufzug wie in den vorigen Jahren. Der König Carneval hatte sich eine Braut aus dem Monde geholt. – ich werde dir die ganze Sache einmal mündlich erklären, schriftlich ist es nicht gut möglich. – aber das Ding muss ungeheures Geld gekostet haben, unter anderm hat sich der junge Schaaffhausen fünf verschiedene Anzüge machen lassen, die alle äußerst kostbar waren, – drey hat er aber nur zeigen können, die andern beyden, – der Titelnarr und der Ordensnarr, – wurden für anzüglich erklärt, und deshalb unterlassen, es waren auch noch viele kleine Gesellschaften, die herumgingen, unter anderen der Bannerrath, ein alter ehemaliger Rath von Cöln, wo sehr witzige Sache gesagt wurden, und doch ganz ohne Beleidigung – ebenso, ein musikalisches Kränzchen, was allerliebst musicierte und auch nebenbey sehr witzig war – sie sangen und spielten verschiedene sehr muntre Stücke aus den Wienern in Berlin, dann eine höchst lächerliche Kirchenmusik – und zuletzt ein Conzert auf einem Nachtigallpfeifchen mit Instrumentalbegleitung, was sich allerliebst ausnahm, was ich aber übrigens auf meine Schuh schmieren konnte, das macht aber nichts, jeder hat was abgekriegt, und dieses war noch höchst gnädig. “

 

Silvester- und Neujahrsbriefe

Januar1

In den Silvesterbriefen hat man zur Zeit der Droste gerne orakelt – vornehmlich über die Entwicklungen des kommenden Jahres im näheren und ferneren Kreis der Bekannten und Verwandten: Welche Ehe hält? Welche Kinder werden geboren? Da das aus heutiger Sicht nicht ganz so spannend ist, stattdessen hier ein Auszug aus dem Neujahrsbrief der Droste an ihre gute Freundin Elise Rüdiger, ebenfalls Schriftstellerin und von der Droste “Lies” genannt. Sie berichtet über den Jahreswechsel 1843/1844 auf der Meersburg am Bodensee. Der erwähnte  Brauch des “Neujahr-Abgewinnens” beschreibt übrigens den Versuch, dem anderen bei einer Begegnung als erster ein gutes neues Jahr zu wünschen.

„Viel Glück zum neuen Jahre, mein altes Lies! Das vergangene ist nicht eben zu loben, Ihnen hat es viele äußere und innere Stürme gebracht, mir eine lange Krankheit und doch auch manche Erschütterung, und so steht’s mit fast allen, die uns nahe sind. Möge das begonnene friedlicher sein! Und um ihm den möglichst vorteilhaften Anstoß zu geben, fange ich es mit einem Briefe an diejenige an, von deren Liebe ich seine besten und innigsten Momente erwarte. Nicht wahr, mein Lies? Treu bei Sonnenschein und Schnee, in guten und bösen Tagen? In Leiden uns auf den andern gestützt, die Freuden doppelt genossen, und wenn’s uns beiden schlecht gehn sollte, doch wenigstens noch einander gehabt! So wär’ es doch ein Wunder, wenn zwei so zähe Planken wie wir sich nicht leidlich über dem Wasser halten sollten! Wüßten die Egoisten, welcher große Frieden in der Treue liegt, sie bekehrten sich alle dazu. Treue kann ja nie schaden, selbst die verratene nicht, denn sie gibt ein gutes Gewissen, und somit das Beste, was irgend eine Zeit bringen kann.

Wir leben hier so ruhig voran, ohne sonderliche Abwechslung. Ich sitze wie eine Maus im Loche in meinem Turme und knuspere eine Nuß nach der andern aus Laßbergs Bibliothek, zuweilen mit recht harter saurer Schale, und auch der Kern erinnert mich oft an unsrer lieben Vorfahren rohe Eicheln, aber was tut man nicht der Ehre wegen! Droben geht’s derweil bunt zu, die gelehrten Besuche treten sich fast einander die Schuhe aus, wovon ich mir denn nachher bei Tische erzählen lasse und bis jetzt noch keinen Namen gehört habe, der es mir leid machte, dass ich nicht zur Hand war. Lauter Professoren X., Y. und Z.

Mir fehlt hier gar nichts wie Sie, aber Sie fehlen mir arg, und ich kann kaum ein Dampfboot aus meinem Fenster heranbrausen sehn, ohne in Gedanken nach meiner Lorgnette zu greifen, ob Sie vielleicht auf dem Verdecke stehn. Das alte Lied hat wohl Recht: “Oh, glaubt es mir, die Liebe, sie macht die Menschen dumm!” oder zerstreut vielmehr, löst die Seele vom Leibe und macht zweihundert Stunde[n] zu einem Katzensprung.

Wir haben jetzt Schnee, ich folglich Anlage zum Rheumathismus und habe seit vierzehn Tagen meine lieben Gänge am Strande aufgeben müssen, aber der See liegt unter meinem Fenster, und jeden Nachmittag sind Sie meine Fata Morgana. Altes Lies! Gott segne und erhalte Sie! […]

Ich habe doch jetzt grade die Abschrift meiner Gedichte fertig und wollte mich eben über das “Bei uns zu Lande” hermachen. Aber das kann warten; vorgestern, am Silvestertage, habe ich die letzte Zeile geschrieben und bis Mitternacht gearbeitet, weil es mir ominös schien, nicht mit dem Jahre zugleich abzuschließen. Ich hatte eben mein Tintefaß zugemacht und kleidete mich aus, als die Glocke schlug und unter lautem Hurra eine Gewehrsalve die neue Zeit ein- und mein Manuskript tot- oder ihm Viktoria schoß – was von beidem? Ich sehe dem Erfolg so ruhig entgegen, wie dies ohne Affektation möglich ist und befinde mich “den Umständen nach ganz wohl”.

Gestern verging unter Kirchengehn, Besuchen, Neujahr-Abgewinnen, kurz dem ganzen Einzugstrubel der neuen Epoche, und heute läuft wieder alles im alten Gleise, nur dass ich statt Gedichte Briefe schreibe und Laßberg statt seiner geliebten Pergamente mein Manuskript liest und, da der heutige Stil ihm ganz fremd geblieben ist, den Kopf öfter schüttelt als mir lieb ist. Ich fürchte nicht sein Mißfallen, aber seinen Rat; manche Leute empfinden einen mit einiger Überwindung gegebenen und dann vernachläßigten Rat fast so schlimm als eine Ohrfeige, und ich fürchte, Laßberg gehört zu diesen.

Im Ganzen hat er mich heute belobt, aber schon einige Abänderungen vorgeschlagen, die sehr sehr nach der alten Schule schmecken, und mir nebenbei Gellert als den vollkommensten deutschen Stilisten empfohlen. Sie sehn, wo das hinaus will! Es würde mir überaus leid sein, den ritterlichen alten Herrn zu kränken, aber in ganz veraltete Formen kann ich mich doch unmöglich zurückschrauben lassen und sehe somit dem Ende der Lektüre, wo, wie er sagt, wir “das Ganze gemeinschaftlich durchnehmen wollen”, mit großem Unbehagen entgegen.

Sie sehen, lieb Lies, anno 44 fängt bei mir mit einem Paar Stirnrunzeln an: entweder Verdruß im Hause, oder die Kritiker auf dem Nacken. Gott helfe mir durch Scilla und Charibdis!“

Brief aus Meersburg vom 2. Januar 1844 an Elise Rüdiger

Zum Jahresabschluss

Dezember29

Über aktuelle Schreibprojekte, den Umgang mit Rezensionen und den Literaturbetrieb schreibt Annette von Droste-Hülshoff gegen Jahresende 1839 folgende Zeilen an Wilhelm Junkmann, einem Freund und Kollegen der “Heckenschriftsteller-Gesellschaft” aus Münster:

“Ein Schriftsteller ums liebe Brot ist nicht nur Sklave der öffentlichen Meinung, sondern sogar der Mode, die ihn nach Belieben reich macht oder hungern läßt, und wer nicht gelegentlich sein Bestes und am tiefsten Gefühltes, Überzeugung, Erkenntnis, Geschmack, verleugnen kann, der mag sich nur hinlegen und sterben, und der Lorbeer über seinem Grabe wird ihn nicht wieder lebendig machen. […]

Ich bin in diesem Sommer sehr fleißig gewesen und habe an dem “Geistlichen Jahr” dermaßen nachgearbeitet, dass ich bei meiner Abreise mit der laufenden Zeit gleich war und dem Jahresschluß bedeutend vorzueilen hoffte. Seitdem bin ich in Rückstand gekommen, teils war ich krank, teils anderweitig verhindert, hatte allmählich auch einen babylonischen Turm von unbeantworteten Briefen aufwachsen lassen, der zwar nicht bis in die Wolken, aber doch fast über meinen Mut reichte. Mir wurde außerordentlich schwarz vor Augen! Jetzt trage ich davon ab, als gälte es das tägliche Brot und fange schon an Grund zu sehen. So denke ich bald wieder ans eigentliche Werk zu kommen und dann mit Gottes Hülfe den Zyklus vor den Silvestertagen geschlossen zu haben. Es ist ein größeres Unternehmen als ich gedacht  […]

Für spätere Arbeiten habe ich noch keine Pläne und will auch nicht daran denken, bevor diese beendigt, da es sich immer in mir gestellt hat, dass sie nur zu einer Zeit erscheinen darf, wo mein ganzes irdisches Streben mir wohl töricht erscheinen wird und dieses Buch vielleicht das einzige ist, dessen ich mich dann freue. Darum will ich auch bis ans Ende meinen ganzen Ernst darauf wenden, und es kümmert mich wenig, dass manche der Lieder weniger wohlklingend sind als die früheren. Dies ist eine Gelegenheit, wo ich der Form nicht den geringsten nützlichen Gedanken aufopfern darf. Dennoch weiß ich, dass eine schöne Form das Gemüt aufregt und empfänglich macht und nehme so viel Rücksicht darauf, als ohne Beeinträchtigung des Gegenstandes möglich ist, aber nicht mehr. […]

In der Kölner Zeitung stand neulich eine Rezension meiner Gedichte, die mir Schücking schickte; sie kann mich nicht eben stolz machen. es ist doch auffallend, wie der Gegenstand anhaltender Beschäftigung auf den Menschen wirkt! Vor einem Jahre würde mich dieses Blatt wahrscheinlich verstimmt haben, jetzt kam ich mir wie eine Tote vor und habe es ohne den mindestens Eindruck aus der Hand gelegt.

Ich wollte, das könnte so bleiben, aber mit dem letzten Federstriche am “Geistlichen Jahr” wird das irdische Jahr wohl alle seine wilden Quellen wieder über mich strömen lassen. Möge mir nur der allgemeine Eindruck bleiben! Auf den partiellen rechne ich nicht, dazu ist mein Inneres noch lange nicht mürbe genug. Beten Sie für mich, dass ich nicht gar zu unreif weggenommen werde! Der heftige Blutandrang nach dem Kopfe nimmt von Jahr zu Jahr mehr überhand, und ich zweifle kaum an einem plötzlichen Ende. Doch darf ich plötzlich nennen, was ich Jahre lang voraus sehe?”

Brief aus Rüschhaus an Wilhelm Junkmann vom  17. November 1839

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