Esther Grau

inspired by dreams

Zum Jahresabschluss

Dezember29

Über aktuelle Schreibprojekte, den Umgang mit Rezensionen und den Literaturbetrieb schreibt Annette von Droste-Hülshoff gegen Jahresende 1839 folgende Zeilen an Wilhelm Junkmann, einem Freund und Kollegen der “Heckenschriftsteller-Gesellschaft” aus Münster:

“Ein Schriftsteller ums liebe Brot ist nicht nur Sklave der öffentlichen Meinung, sondern sogar der Mode, die ihn nach Belieben reich macht oder hungern läßt, und wer nicht gelegentlich sein Bestes und am tiefsten Gefühltes, Überzeugung, Erkenntnis, Geschmack, verleugnen kann, der mag sich nur hinlegen und sterben, und der Lorbeer über seinem Grabe wird ihn nicht wieder lebendig machen. […]

Ich bin in diesem Sommer sehr fleißig gewesen und habe an dem “Geistlichen Jahr” dermaßen nachgearbeitet, dass ich bei meiner Abreise mit der laufenden Zeit gleich war und dem Jahresschluß bedeutend vorzueilen hoffte. Seitdem bin ich in Rückstand gekommen, teils war ich krank, teils anderweitig verhindert, hatte allmählich auch einen babylonischen Turm von unbeantworteten Briefen aufwachsen lassen, der zwar nicht bis in die Wolken, aber doch fast über meinen Mut reichte. Mir wurde außerordentlich schwarz vor Augen! Jetzt trage ich davon ab, als gälte es das tägliche Brot und fange schon an Grund zu sehen. So denke ich bald wieder ans eigentliche Werk zu kommen und dann mit Gottes Hülfe den Zyklus vor den Silvestertagen geschlossen zu haben. Es ist ein größeres Unternehmen als ich gedacht  […]

Für spätere Arbeiten habe ich noch keine Pläne und will auch nicht daran denken, bevor diese beendigt, da es sich immer in mir gestellt hat, dass sie nur zu einer Zeit erscheinen darf, wo mein ganzes irdisches Streben mir wohl töricht erscheinen wird und dieses Buch vielleicht das einzige ist, dessen ich mich dann freue. Darum will ich auch bis ans Ende meinen ganzen Ernst darauf wenden, und es kümmert mich wenig, dass manche der Lieder weniger wohlklingend sind als die früheren. Dies ist eine Gelegenheit, wo ich der Form nicht den geringsten nützlichen Gedanken aufopfern darf. Dennoch weiß ich, dass eine schöne Form das Gemüt aufregt und empfänglich macht und nehme so viel Rücksicht darauf, als ohne Beeinträchtigung des Gegenstandes möglich ist, aber nicht mehr. […]

In der Kölner Zeitung stand neulich eine Rezension meiner Gedichte, die mir Schücking schickte; sie kann mich nicht eben stolz machen. es ist doch auffallend, wie der Gegenstand anhaltender Beschäftigung auf den Menschen wirkt! Vor einem Jahre würde mich dieses Blatt wahrscheinlich verstimmt haben, jetzt kam ich mir wie eine Tote vor und habe es ohne den mindestens Eindruck aus der Hand gelegt.

Ich wollte, das könnte so bleiben, aber mit dem letzten Federstriche am “Geistlichen Jahr” wird das irdische Jahr wohl alle seine wilden Quellen wieder über mich strömen lassen. Möge mir nur der allgemeine Eindruck bleiben! Auf den partiellen rechne ich nicht, dazu ist mein Inneres noch lange nicht mürbe genug. Beten Sie für mich, dass ich nicht gar zu unreif weggenommen werde! Der heftige Blutandrang nach dem Kopfe nimmt von Jahr zu Jahr mehr überhand, und ich zweifle kaum an einem plötzlichen Ende. Doch darf ich plötzlich nennen, was ich Jahre lang voraus sehe?”

Brief aus Rüschhaus an Wilhelm Junkmann vom  17. November 1839

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