Esther Grau

inspired by dreams

Literatour: Analphabeten-Ausflug mit der portugiesischen Tra(u)mbahn

Mai9

Am Welttag des Buches bin ich unterwegs in einer anderen Welt. Ich stehe auf, wenn der Morgen erwacht und folge ihm auf zufälligen Wegen durch den Tag. Der warme Wind, der Lissabon erfüllt, bestimmt die Richtung. Meine Augen springen jedem neuen Eindruck nach. Kurz: Es ist alles anders als in der bekannte Welt der Buchstaben, die mir sonst wohlgeordnet auf einem Computerbildschirm zublinken.

Mit den portugiesischen Pendlern steige ich in einen Regionalzug nach Sintra. Eine sichere Sache, Sintra ist die Endstation. Da reise ich entspannter als zuvor nach Estoril. Ein glasklarer Name, sollte man meinen, aber die Stationsansage klang wie ein genuscheltes „Eschtúrill“– in einer Silbe. Längere Ortsnamen klingen im Portugiesischen wie reine Poesie, sind aber leider eine schlechte Orientierung für den Sprachunkundigen. Und das bin ich: Der Sprache nicht mächtig. Der Lautstrom rauscht als okkulter Singsang an mir vorbei. Ungewohnt, aber anregend wie ein experimentelles Konzert.

Eine junge Frau mit einem Arm voll frisch verschweißter Magazine hüpft kurz nach mir in die Bahn nach Sintra. Lächelnd überreicht sie mir ein Exemplar, das ich zunächst für ein kostenloses Stadtmagazin halte.

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Auf dem Cover belehrt mich ein kleiner Wikinger mit einem großen Schwert eines Besseren: THORGAL des polnischen Zeichners Grzegorz Rosi?ski mit Texten von Jean van Hamme (deutsch beim Splitter Verlag).

Ich habe Hände und Kopf frei und eine kleine Bummelfahrt vor mir, also knistere ich erwartungsvoll mit dem Zellophan und schlage die erste Seite auf.  Es eröffnet sich mir eine ungewohnte Perspektive: die des Analphabeten nämlich. Nicht ganz, immerhin, alte Latein- und Spanischbrocken helfen, ein paar sinntragende Wörter in den Sprechblasen zu entziffern. Geschrieben gibt sich das Portugiesische zugänglicher als beim bloßen Hören.

Sonst lese ich selten, aber gern Comics. Na gut, eher Cartoons im Internet – die Heldentage von Flix sind mir ein Fest, aber das liegt eben auch an seinem guten Gefühl für Worte.  Mit diesem portugiesischen Comic ist es anders; er ist in erster Linie ein Bilderbuch für mich. Ein Bilderbuch, das mir kindliche Freude bereitet, nicht nur, weil die Abenteurergeschichte wohl eher für eine junge Zielgruppe gemacht ist.

Die Lust am Entdecken, das langsame Entfalten der Geschichte, ihr Erleben in Bildern, die nicht erst in meinem Kopf entstehen, sondern sich schon im Buch befinden, macht Spaß, sodass ich immer weiter buchstabiere. Ich fühlte mich ein bisschen wie bei dieser Kampagne.

An der Endstation angekommen, habe ich die erste der zwei Geschichte im Band überflogen – und fühle mich beflügelt. Am Welttag des Buches bin ich beschenkt worden. Mit einem Comic und einer ganz neuen Leseerfahrung. Wie es wohl wäre, müsste ich nicht nur auf dieser Auslandreise, sondern als echter Analphabet jeden Tag darum kämpfen, nicht im Wörtermeer wie in bedrohlichen Fluten zu versinken? Die Freude wäre sicher noch größer.

Comics in der Bahn am Welttag des Buches – eine tolle Sache und mein persönlicher Gratis-Comic-Tag.

Leia mais, viaje mais – Lesen Sie mehr, reisen Sie mehr.

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