Esther Grau

inspired by dreams

Der Märchenkönig

April11

Neuschwanstein_web

Märchenkönig heißt der bayrische König Ludwig II (1845-1886) nicht, weil er wie die Brüder Grimm gerne Märchen gesammelt hätte  – er hatte es mehr mit mittelalterlichen Heldensagen -,  sondern weil sein Lieblingsschloss Neuschwanstein wie hingezaubert aussieht.  Fairy tale castle heißt Neuschwanstein deshalb auch im amerikanischen Reiseführer.

Disney war von Schloss Neuschwanstein begeistert, wie im Disney-Logo und in seinen Freizeitparks gut zu erkennen ist. Als ich zu Füßen der Kalksteinfassade des Schlosses stehe, habe ich eher den Eindruck, Disney hat auch dieses Schloss gebaut. Es wirkt auf mich so unecht wie die Gebäude in Freizeitparks, die ihre Vorbilder imitieren. Andererseits sollte Neuschwanstein ja auch so ein Nachbau sein: Ludwig wollte mit seinem Märchenschloss die ideale Ritterburg des Mittelalters wiederauferstehen lassen.

Neoromanik war im 19. Jahrhundert ohnehin schwer angesagt, die Architektur ahmte den romanischen Baustil des Mittelalters nach. Da konnte eine Burg gar nicht genug Türmchen, Rundbogen, Säulen und Kapitelle haben. Nein, Neuschwanstein ist niemals eine wehrhafte Burg gewesen, keine echte Schießscharte weit und breit. Wäre Neuschwanstein ein Kleid, es glitzerte als ein Traum in Pink mit rosa Rüschen.

König Ludwig II, so erfahre ich vom Schlossführer, hatte Neuschwanstein als sein persönliches Refugium geplant, tief in den Wäldern versteckt, wo er allein mit ausgewählten Künstlern (und Lustknaben) in Wagneropern schwelgen wollte, statt Politik zu machen.  Nachdem er entmündigt wurde und im Starnberger See starb (auf der Flucht erschossen oder von eigener Hand, das ist bis heute ungeklärt), öffnete die bayrische Regierung das Schloss des verschwenderischen Königs für die Öffentlichkeit, um seine Schulden auszugleichen. So wurde aus dem Rückzugsort tatsächlich ein Freizeitpark.

Ironie des Schicksals, schon sechs Wochen nach seinem Tod strömten die Massen durch sein Schlafzimmer, von dem der König wünschte, es soll auf ewig für alle Fremden Tabu bleiben. Der Staat aber konnte sich keine Zimperlichkeiten mehr leisten. Als der Schlossführer das erzählt, rücke ich vom handgeschnitzten Himmelbett ab und schäme mich ein bisschen, über Ludwigs lebensgroße Schwanenvase gelacht zu haben.


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