Esther Grau

inspired by dreams

Buchextrakt (27) Luca Di Fulvio: Der Junge, der Träume schenkte

April18

Zugegeben, ich habe das Buch nach dem Titel gekauft. Was kann man schon mit Träumen falsch machen? Selbst vom Klappentext blieb bei mir nur “1920er in New York” hängen. Bei einem derart unreflektierten Kaufverhalten darf man auf Überraschungen gefasst sein. Ich bekam eine volle Landung Sex ‘ n’ Crime.

Es ist die Geschichte einer italienischen Auswanderin in New York, die mit einem unehelichen Sohn und großen Hoffnungen nach Amerika geht.

Es ist die Geschichte eines echten Hurensohns, der sich im New Yorker Gangstermilieu aus Nichts einen Namen macht.

Es ist die Geschichte einer Jüdin, die nach persönlichen Dramen ein Flapper wird und sich der Fotokunst verschreibt.

Es ist aber auch die Geschichte des frühen (Hollywood)-Films , dem ebenso viel Glamour wie Dreck anhaftet(e).

Vielleicht gerade weil mir die Themen allesamt recht fern sind, blieb es spannend, ihre Entwicklung zu verfolgen. Die Gewaltszenen waren nicht mein Fall, aber sie passen zur Story.

Insgesamt: Eher harte Realität als leichte Träume, aber immerhin mit Happy-End.

“‘Hoch mit dem Lappen war vor langer Zeit die übliche Redensart, wenn man wollte, dass der Vorhang sich hob. Und deshlab… ziehen wir den Lappen rauf, Leute, denn euch erwaret eine Vorstellung, wie ihr sie noch nie gesehen habt. Eine Reise in die Stadt der Räuber und Gendarmen, wie unser New York damals genannt wurde. Ihr seid in einem der Theater an der Bowery, und die Schauspielerinnen auf der Bühen sind derart liederlich und verdorben, dass sie in keinem anderen Theater auftreten könnten, glaubt mir. Macht euch gefasst auf volkstümliche Possen, auf anzügliche Komödien, auf Stücke, die von Straßengangstern und Mördern handeln, Und passt bloß auf eure Geldbörsen auf …’ Christmas lachte leise. Der Schraubstock um seinen Magen hatte sich gelöst. Luft strömte ungehindert in seine Lungen und wieder hinaus. Die Scheinwerfer glühten, die Musik spielte. Und er hörte das Geraune der Leute, nahm ihre Gedanken und Emotionen wahr. ‘Neben euch sitzen Zeitungsverkäufer, Straßenkehrer, Aschesammler, Lumpenhändler, junge Bettler, vor allem aber Dirnen und Taucher … Ja, ihr habt richtig gehört, Taucher. Ach so, entschuldigt, ihr seid ja von der flachen Sorte. Flach ist einer, der wie ihr keinen Schimmer von den Tricks der Ganoven hat. Und ein Taucher ist jemand … der seine Hände in eure Taschen taucht. Der beste Taschendieb, den ihr euch vorstellen könnt. Deshalb … seid achtsam.'” (S. 469-470)


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Wilhelm Busch – Eduards Traum

April15

Zum 180. Geburtstag des Zeichners und Dichters Wilhelm Busch stelle ich eine eher unbekannte Geschichte des Humoristen vor. Jenseits von Max und Moritz, Hans Huckebein und der frommen Helene hat er nämlich auch mal was Längeres in Prosa geschrieben. Alles andere als angestaubt und nicht minder komisch.

Die Erzählung Eduards Traum (1891) verfasste Wilhelm Busch im reiferen Alte, und zwar komplett ohne Zeichnungen. Herrliche Formulierungen ersetzen ohne Mühe die fehlenden Illustration. Buschs Humor blitzt auch in diesem Prosastück überall hervor.  Den Ausdruck “an den Grenzen des Unfassbaren herumduseln” erkläre ich zu meinem neuen Liebling.

Manche Menschen haben es leider so an sich, daß sie uns gern ihre Träume erzählen, die doch meist nichts weiter sind, als die zweifelhaften Belustigungen in der Kinder- und Bedientenstube des Gehirns, nachdem der Vater und Hausherr zu Bette gegangen. Aber »Alle Menschen, ausgenommen die Damen«, spricht der Weise, »sind mangelhaft!«

Dies möge uns ein pädagogischer Wink sein. Denn da wir insoweit alle nicht nur viele große Tugenden besitzen, sondern zugleich einige kleine Mängel, wodurch andere belästigt werden, so dürften wir vielleicht Grund haben zur Nachsicht gegen einen Mitbruder, der sich in ähnlicher Lage befindet.

Auch Freund Eduard, so gut er sonst war, hub an, wie folgt:

Die Uhr schlug zehn. Unser kleiner Emil war längst zu Bett gebracht. Elise erhob sich, gab mir einen Kuß und sprach:

»Gute Nacht, Eduard! Komm bald nach!« jedoch erst so gegen zwölf, nachdem ich, wie gewohnt, noch behaglich grübelnd ein wenig an den Grenzen des Unfaßbaren herumgeduselt, tat ich den letzten Zug aus dem Stummel der Havanna, nahm den letzten Schluck meines Abendtrunkes zu mir, stand auf, gähnte vernehmlich, denn ich war allein, und ging gleichfalls zur Ruhe.

Eine Weile noch, als ich dies getan, starrt ich, auf der linken Seite liegend, ins Licht der Kerze. Mit dem Schlage zwölf pustete ich’s aus und legte mich auf den Rücken. Vor meinem inneren Auge, wie auf einem gewimmelten Tapetengrunde, stand das Bild der Flamme, die ich soeben gelöscht hatte. Ich betrachtete sie fest und aufmerksam. Und nun, ich weiß nicht wie, passierte mir etwas Sonderbares.

Mein Geist, meine Seele, oder wie man’s nennen will, kurz, so ungefähr alles, was ich im Kopfe hatte, fing an sich zusammenzuziehn. Mein intellektuelles Ich wurde kleiner und kleiner. Erst wie eine mittelgroße Kartoffel, dann wie eine Schweizerpille, dann wie ein Stecknadelkopf, dann noch kleiner und immer noch kleiner, bis es nicht mehr ging. Ich war zum Punkt geworden.

Im selben Moment erfaßte mich’s, wie das geräuschvolle Sausen des Windes. Ich wurde hinausgewirbelt. Als ich mich umdrehte, sah ich in meine eigenen Naslöcher.

Da saß ich nun auf der Ecke des Nachttisches und dachte über mein Schicksal nach. …

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Buchextrakt (26) Bas Kast: Wie der Bauch dem Kopf beim Denken hilft

März30

Ein Journalist, der locker-flockig über relevante Ergebnisse der neueren Hirnforschung berichtet, verspricht eine lohnende Lektüre. Tatsächlich gelingt es Kast, allgemeinverständlich und gleichzeitig unterhaltend Meilensteine und aktuellen Forschungsansätze zu beleuchten.

Im Mittelpunkt des  Buches steht die Frage, inwieweit Emotionen unsere Entscheidungen und Handlungen beeinflussen. Ein spannendes Thema, das überraschende Ergebnisse mit sich bringt. Die Macht der Intuition wird inzwischen auch von jenen Wissenschaftlichern bestätigt, die gerade die Ratio erforschen, das sei an dieser Stelle schon verraten.

Kast hat für seinen Bericht Forschungszentren auf der ganzen Welt besucht und scheut auch nicht den Selbstversuch. Einige darf auch der Leser des Buches mitmachen, andere – wie die kurzzeitige “Abschaltung” einiger Hirnareale durch einen starken Magneten – führt der Autor anschaulich vor Augen. Obwohl sich herausstellt, dass unser Gehirn einerseits immer genauer kartografiert wird, muss andererseits dem Unbewussten ein größerer Einfluss zugestanden werden, als bisher angenommen.

Darüber hinaus stellt Kast die Verbindung zu philosophischen Traditionen, bekannten Künstlern zwischen Genie und Wahnsinn sowie Autisten her.

Als Leseprobe zitiere ich den Anfang einer kleinen Rätselgeschichte, deren Auflösung im Buch zu finden ist:

Die Verwandlung des Herrn K.

Dies ist die Geschichte des Herrn K., eines geselligen, lebendigen Menschen; glaubt man einem seiner Zeitgenossen, war er ‘der eleganteste Mann von der Welt’. Aber das war lange vor K.s kühnem Selbstversuch.

Als K. 40 wurde, geriet er nämlich in eine Midlife-Crisis und fasste den Entschluss, sein Ich neu zu entwerfen, wie es ein Architekt am Reißbrett mit einem Stadtteil tut oder wie ein Informatiker am Computer eine Software umprogrammiert: Herr K., Version 2.0. Die Operation, ein Putsch der Vernunft gegen den Rest der Person, sollte Jahre dauern, doch schließlich gelang sie, und aus dem ehemaligen Hauslehrer und Bibliothekar wurde der vernünftigste Mensch auf Erden.

Kein Wort dieser Geschichte ist eine Erfindung.” (S. 28)

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John Irving und wie er die Welt sieht

März10

Zum 70. Geburtstag von John Irving läuft seit ein paar Tagen eine Doku über Leben und Schaffen des Schriftstellers im Kino.

Nach dem Film hatte ich erstmal Hunger. Denn Irving backt dem Filmteam vor laufender Kamera Pizza und zeigt sich auch in seinem sonstigen Lebensumfeld als äußerst bodenständig. Wenn er plaudernd an der Küchentheke lehnt, erinnert mich Irving eher an Columbo, der mal eben den Trenchcoat abgelegt hat, nicht aber sein schelmisches Lächeln.

Irving, der in der ersten Lebenshälfte auch professioneller Ringer war, sieht man immer noch den Sportler an. Er ist gut im Training und sportlich sieht er auch das Schreiben.  Es bleibt eine tägliche Herausforderung, zumal er seine dicken Bücher ausschließlich per Hand schreibt. Den Laptop benutzt er nur für seine E-Mails.

Der Autor wird an seinem Schreibort in Kanadaa interviewt; er liegt auf der Insel (!) seiner Frau und bietet einen herrlichen Ausblick. Die Doku begleitet Irving aber auch zu Schauplätzen seiner Romane, u. a. nach Wien und Amsterdam. Ebenso wie die Orte hat er dort auch Menschen zum Vorbild seiner Romanfiguren genommen. Sie erzählen von ihren Begegnungen mit dem Autor und der Überraschung, im späteren Roman nicht nur ihren Beruf und ihr Lebensumfeld wiederzufinden – wozu Irving sie befragte – , sondern nebenbei auch eigene Charakterzüge…  Jedenfalls wissen sie alle ganz genau, auf welcher Buchseite sie vorkommen und wie viele Sätze sie haben. Der Wiener Organist, der Irving früher mit Bachkompositionen und Orgelgeschichte beglückte, leuchtet heute geradezu vor Begeisterung, dass ein Nicht-Experte seine Parallelwelt der Orgelkunst so genau und gründlich beschreiben kann. Wenn das keine gelungene Recherche ist !

Für Irving-Anhänger, Literaturfans und Autoren, die gern mal hinter die Fassaden anderer Buchgeschichten gucken.

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Nach 100 Jahren

Februar8

Vielleicht ist der neue Link in meiner Blogroll dem einen oder anderen schon aufgefallen: “Nach 100 Jahren” heißt er etwas kryptisch, führt aber zu einem wunderbaren Literaturprojekt. Die Korrespondenz der westfälischen Dichterin Annette von Droste-Hülshoff (1797-1848) wurde in Auszügen digitalisiert und aufbereitet. So lässt sich locker gegen das Briefgeheimnis lesen, wobei man alle wichtigen Kontextinformationen durch die zahlreichen Anmerkungen erhält.

Natürlich gibt es im Menü noch allerlei Hintergrundwissen zu erkunden, Biografien, Schreibplätze und Lebensorte zur Droste und ihrer Familie. Wer gezielter lesen möchte, zum Beispiel, was die Dichterin zum Bodensee meint, findet links unten eine Suchfunktion (scrollen!). Sehr praktisch sind auch die Auswahlmöglichkeiten der Briefe nach Empfänger, Jahr und Ort, an dem sie verfasst wurden.

Idee und Umsetzung sind so gelungen, dass das Projekt bereits den Grimme-Online-Award erhalten hat. Mir gefällt es sehr, weil man die Dichterin als Menschen kennenlernt und trotz aller Online-Bequemlichkeit beim Lesen die alten Briefbögen geradezu rascheln hört.

Der Titel leitet sich übrigens von einem Zitat der Droste ab: “Nach 100 Jahren möchte ich gelesen werden” – das ist ihr gelungen.

Sag es mit Pinguinen

Januar18

Der Zoo in Toronto hat sich eine hübsche Idee überlegt, um auf seine Tiere aufmerksam zu machen. Die Website Say it with penguins präsentiert ein neues “Sprachsystem”, mit dem man eigene Botschaften kreieren kann, sozusagen schwarz auf weiß.

Das sieht dann zum Beispiel so aus:

Pinguine2_web

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The Joy of Books

Januar15

Nachts im Museum Buchladen.

Da sag noch einer, Bücher seien nicht bewegend …

via turmsegler

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Buchskulpturen II

Januar13

Gerade entdeckt, dass Guy Laramee nicht der Einzige ist, der aus alten Büchern neue Kunst macht.  Kyle Kirkpatrick fertigt ebenfalls solche fiktionalen Landschaften. Bei thisiscolosall sind einige seiner Werke im Moment digital ausgestellt. Unbedingt sehenswert!

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Buchskulpturen

Januar9

Sind Hardcover im Zeitalter der E-Books überflüssig?

Sicher nicht, wenn man sie in eine neue Kunstform überführt.

Was man aus dicken Wälzern machen kann, zeigt der Künstler Guy Laramee in den Galerien auf seiner Seite. Seine Landschaften und Skulpturen aus und in den Buchseiten sind beeindruckend genug, um zu verzeihen, dass dafür Bücher daran glauben mussten – immerhin existieren sie in einer schöneren Form fort.

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Buchextrakt (25) Christoph Poschenrieder: Die Welt ist im Kopf.

September6

In dem historischen Roman erlebt der Leser den Philosophen Arthur Schopenhauer vor allem von seiner hitzigen Seite. Der in jeder Hinsicht leicht erregbare Schopenhauer legt sich vor allem mit seinem Verleger Brockhaus an, der sein Werk Die Welt als Wille und Vorstellung veröffentlichen soll. Erbost bricht Schopenhauer 1819 zu einer Italienreise auf, solche Bildungsreisen lagen damals für junge Männer sehr im Trend. Während er auf das Erscheinen seines Buches wartet und zögert, ob er sich mit seinem Empfehlungsschreiben von Goethe bei dem damals äußerst angesagten Lord Byron vorstellen soll, genießt er erst einmal la dolce vita in Venedig. Die Perspektiven wechseln, sodass auch Lord Byrons und Goethes Sicht gelegentlich geschildert werden.

„Einen Raum voller Menschen benutzte Goethe wie eine Bibliothek – so wie er ein Buch aus dem Regal zog, nach Belieben darin blätterte und es, bereichert oder gelangweilt, zurückstellte. Ein Goethe konnte sich das erlauben; selbst aber ließ er sich von niemandem lesen, wenn er es nicht wollte. Die Bibliothek war nicht schlecht sortiert. Gut, die Gräfin Bombelles, die vor allem redete wie ein Buch, die war zu meiden; dort den Grafen Paar, den kannte er in. Und auswendig; beim Erdöd-Palffy fand er immer eine Pointe; die beiden Prinzessinnen Reuß-Köstriz, reizend illustriert und koloriert, ein wahrlich zierliches Format, das stets das Blättern lohnte; drüben, beim Podium, die Gewichtigen in Goldschnitt: Klemens Fürst Metternich, österreichischer Staatsminister, neben dem Gastgeber Fürst Schwarzenberg, einem Sieger der Völkerschlacht von Leipzig, und dem russischen Außenminister Capo d’Istria.“ (S. 21-22)

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