Esther Grau

inspired by dreams

Buchextrakt (7) Jasper Fforde: Im Brunnen der Manuskripte

März30

Mal wieder ein ganz wunderbares Buch, das vor allem durch  Sprachspielereien und fantastischen Einfallsreichtum jeden Bücherfreund besticht. Und weil das so schön ist, fällt der Buchextrakt dieses Mal etwas länger aus.

Der Hintergrund: Alle jemals veröffentlichten Bücher werden in der Großen Bibliothek aufbewahrt. Aber in den Untergeschossen dieser Bibliothek, im Brunnen, lagern die unfertigen Manuskripte. Sie bestehen nicht einfach aus Wörtern, sondern sind lebendige, eigenständige Welten, in denen es,  je nach Genre, ganz schön abgeht. 

Die Story: Hauptfigur Thursday Next zieht sich in das ziemlich lahme Manuskript des Kriminalromans Caversham Heights zurück, um sich vor ihren Widersachern zu schützen. Sie arbeitet für Jurisfiktion, deren Aufgabe es ist, die Ordnung in den Büchern zu wahren. Ein ziemlicher Geheimagentenjob. Ermöglicht wird das Arrangement durch das FigurenAustauschProgramm, das gelangweilten Romanfiguren eine Auszeit in der wirklichen Welt erlaubt, während “wirkliche” Menschen in ihr Buch springen, um die entsprechende Rolle weiterzuspielen. Im folgenden Auszug trifft Thursday Next zum ersten Mal auf  ihre Tandempartnerin Mary:

“‘Ich bin auch keine Romanfigur’, sagte ich, ‘sondern wirklich.’

‘Ach!’ sagte Mary mit weit aufgerissenen Augen. ‘Eine Außenländerin.’  Sie berührte mich neugierig mit ihrem schlanken Zeigefinger. ‘Ich habe noch nie mit jemandem von der anderen Seite zu tun gehabt’, sagte sie und schien erleichtert, als ich bei der Berührung nicht in tausend Stücke zersprang. ‘Sagen Sie, stimmt das eigentlich, dass Sie sich regelmäßig die Haare schneiden müssen? Ich meine, wachsen Ihre Haare tatsächlich?’

‘Ja’, lächelte ich. ‘Und meine Fingernägel auch.’

“Wirklich?’ murmelte Mary. ‘Ich habe Gerüchte darüber gehört, aber ich dachte, es wäre bloß eine dieser außenländischen Legenden. Ich vermute, dann müssen Sie auch essen, damit Sie am Leben bleiben, nicht wahr? Nicht bloß, wenn es die Geschichte verlangt, oder?’

‘Es ist eine der größten Freuden im Leben’, erklärte ich ihr. Ich hatte nicht die Absicht, ihr von den Nachteilen des wirklichen Lebens wie Karies, Inkontinenz oder Altersdemenz zu erzählen. Mary lebte in einem Zeitfenster von etwa drei Jahren, sie würde nie heiraten oder Kinder kriegen, sie alterte nicht, sie musste nicht sterben, sie wurde nie krank, sie veränderte sich überhaupt nicht. Dass sie resolut und stark erschien, lag nur daran, dass sie so geschrieben war. Trotz all ihrer Qualitäten war Mary bloß eine Kontrastfigur zu Jack Spratt, dem Privatdetektiv in Caversham Heights, die loyale Zuhörerin, der Jack alles erklärte, was der Leser wissen musste. Sie war das, was der Schriftsteller eine Expositionshilfe nennt, aber ich wäre nie so unhöflich gewesen, ihr das zu sagen.” (S. 10)

Thursday übernimmt Marys Position im Roman, der Plot klebt als Orientierungshilfe am Kühlschrank und gewährt viel Handlungsspielraum – schließlich befindet sie sich in einem unvollendeten Manuskript. Dass dieser vermeintlich sichere Rückzugsort aber auch Gefahren birgt, erfährt sie bald. 

“Beim Weitergehen kamen wir an einem Laden für Zeitangaben vorbei, der Bald darauf hieß. Er hatte gerade ein Sonderangebot Kleine Pausen und Wechsel der Jahreszeiten. ‘Was passiert eigentlich mit Büchern, die nicht veröffentlicht werden?’ fragte ich, weil ich herausfinden wollte, ob die Gefahr für die Figuren in Caversham Heights wirklich so groß war.

‘Die Durchfallquote ist hoch’, musste Snell zugeben, ‘und meistens liegt es an mangelnder Qualität. Aber nicht immer. Bunyan’s Bootscaper von John McSquurd ist eins der besten Bücher, die je geschrieben wurden, aber der Autor gibt es einfach nicht aus den Händen. Das meiste, was nicht fertig gestellt oder immer wieder abgelehnt wird, bleibt so lange hier unten, bis es auseinandergenommen und anderweitig benutzt wird. Manche Texte sind allerdings so schlecht, dass sie verschrottet werden müssen: Die Wörter werden von den Seiten genommen und in die TextSee geworden.’ “(S. 60)

Erst nachträglich habe ich erfahren, dass Im Brunnen der Manuskripte nach Der Fall Jane Eyre und In einem anderen Buch das dritte Buch der Reihe um Thursday Next  ist – und es gibt auch noch zwei Nachfolgebände. Mag sein, dass mir dadurch der eine oder andere Bezug entgangen ist, trotzdem kann man das Buch als eigenständiges Werk gut genießen.

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