Esther Grau

inspired by dreams

Buchextrakt (24) Allen Kurzweil: Die Leidenschaften eines Bibliothekars

Juli11

Der Bibliothekar Alexander Short gehört zu den Menschen, die gerne Listen machen. Allerdings schreibt er keine To-do-Listen , sondern vielmehr Inventarlisten, mit denen er seine Umgebung katalogisiert. Sein Beruf ist also Berufung, um nicht zu sagen Marotte. So trägt Short ein Beutelbuch an seiner Kleidung, wie es einst Mönchen an ihre Kutten knöpften, um seine Aufzeichnungen jederzeit griffbereit zu haben.  Die notiert er in verschlüsselter Kurzschrift, denn ein bisschen paranoid ist Short auch.

Als ihn der Bibliotheksbesucher Henry James Jesson III mit seinem literarischen Namen, einer altmodischen Unterschriften und dem Buch-Bestellschein Geheimfächer in Möbeln des 18. Jahrhunderts betört, ist es um Short, den ungewöhnliche Bestellscheine und Behältnisse faszinieren, geschehen: Er willigt in eine Auftragsrecherche für seinen kuriosen Auftraggeber ein, die sich zu einer spannenden Suche nach einer alten Uhr entwickelt.

Die folgende Leseprobe zeigt, dass Short kein Mensch ist, der Privates und Berufliches trennt:

Zweihundertundvierundsechzig Bestellscheine nachdem uns Die Schneekugelreparatur zusammengebracht hatte, beschlossen Nic und ich, unsere Beziehung neu zu ordnen. Ich war bereits ein Jahr aus der Schule und rackerte mich in der Bibliothek ab, da schlich sie sich eines Tages in ihrem kurzen Lederrock und einem hauchdünnen Seidenschal an den Auskunftsschalter heran.

„Hallo“, sagte ich.

Wortlos reichte sie mir einen Bestellschein für einen viktorianischen Ratgeber, Empfehlungen für die Gattenjagd oder Handbuch für heiratsfähige Fräulein. Dann blinzelte sie mir zu und sagte, sie erwarte am Buchausgabeschalter meine Antwort.

Ihr Antrag kam nicht gänzlich unerwartet. Das Gespenst der Ausweisung saß uns im Nacken – Nics Visum war einige Monate zuvor abgelaufen –, und wir wussten beide sehr genau, dass eine Eheschließung die wirksamste Maßnahm gegen die Drohungen der Einwanderungsbehörde war. Als ich mit meinem ausgefüllten Bestellschein zum Buchausgabeschalter kam – ich verlangte nach einem Teenager-Roman mit dem Titel Sag einfach ja! – musste ich feststellen, dass er von einer japanischen Touristengruppe in Beschlag genommen worden war. Ich konnte jetzt unmöglich nach Nic suchen, deswegen beauftragte ich einen Pagen, so heißen bei uns die Hilfskräfte, meine Antwort auf die blinkende AnzeigenTafel zu setzen, indem er die Ziffern so einstellte, dass sie sich als Schriftzug lasen: ICH WILL! ICH WILL! ICH WILL!“ (S. 26-27)

posted under Wortreich

Comments are closed.

 
  • Ich mach was mit Büchern