Esther Grau

inspired by dreams

50 Shades of Fiction (2): Der Name der Rose

Februar26

Umberto Ecos Der Name der Rose war für mich eines der ersten Fenster in die Welt des finsteren Mittelalters. Neben der Atmosphäre hat mich am meisten beeindruckt, wie dicke Mauern des Schweigens die Wahrheit doch nicht verschließen können. Deshalb passt dieses Foto für mich gut zum Buch:

Im Namen der Rose_web2


posted under Wortreich | No Comments »

Über das Außer-sich-Sein beim Schreiben

Februar22

Matthias Nawrat bringt pointiert auch mein Schreibgefühl auf den Punkt:

“Ich schreibe, um außerkörperliche Erfahrungen zu machen. Ich schreibe, um außerpersönliche Erfahrungen zu machen. Ich schreibe, um die Erfahrungen von jemand anderem zu machen. Ich schreibe, weil nichts mich so sehr überraschen kann wie das, was beim Schreiben entsteht: Weil es nichts mit mir zu tun hat. Weil es von sich aus lebt. Weil es auch da sein könnte, wenn ich nie gewesen wäre. Ich schreibe, um das Gefühl zu haben, das sich einstellt, wenn mir wieder etwas „passiert“ ist. Ich schreibe, weil die größte Schönheit in der Welt in der Schönheit einer leuchtenden Wortkombination liegt, die ich noch nie gesehen habe. Ich habe ein tiefes Bedauern für Menschen, die nicht schreiben.”

Matthias Nawrat, Der Mückenschwarm

via isabo


posted under Wortreich | No Comments »

50 Shades of Fiction (1): Fräulein Smillas Gespür für Schnee

Februar9

Das Mitmachprojekt 50 Shades of Fiction gestaltet sich anspruchsvoller als erwartet. Die (subjektive) Essenz eines Buches mit meinen fotografischen Möglichkeiten darzustellen, fiel mir gar nicht so leicht. Deshalb habe ich für den Anfang eine Weile gebraucht. Hier aber nun meine erste Schattierung der 50 Shades of Fiction.

An Peter Høegs Fräulein Smillas Gespür für Schnee hat mich neben der Scheestille und ihrer magischen Faszination vor allem die Beharrlichkeit der Hauptfigur beeindruckt. Sie lässt sich auf ihrer Suche von nichts abhalten, überwindet alle Hindernisse. Deshalb erscheint mir das Wasser, das überall (s)einen Weg findet, ein gutes Bild für Fräulein Smilla:

Smilla_web

Andere Interpretationen zum Buch sehen übrigens so oder so aus.


posted under Wortreich | No Comments »

Buchextrakt (33) Haruki Murakami: Schlaf

Februar6

Kein Buch für schlaflose Nächte – dafür ist es viel zu kurz. Das macht die Erzählung andererseits zu einer guten Bettlektüre. Die Hauptfigur, eine 30-jährige Hausfrau und Mutter in Tokio, erlebt nach einem vermeintlichen Albtraum Nacht um Nacht Schlaflosigkeit. Dieser Zustand überkommt sie nicht zum ersten Mal in ihrem Leben. Früher kannte sie ihn als etwas Quälendes:

“Mit meinen Fingerspitzen berühre ich gleichsam den äußersten Rand des Schlafes. Doch sofort ist mein Bewusstsein zur Stelle. Ganz leicht schlummere ich ein. Aber mein Bewusstsein, nur durch eine dünne Wand getrennt, ist hellwach und kontrolliert mich. Während mein Körper schwankend durch die Morgendämmerung irrt, spürt er den Blick und den Atem meines Bewusstseins ständig neben sich. Ich bin ein sich nach Schlaf sehnender Körper und ein Bewusstsein, das wach bleiben will.”

Die aktuelle Phase ihrer Schlaflosigkeit erfährt die Hauptfigur aber vollkommen anders. Denn sie ist nicht mit den üblichen Folgen verbunden: bleierne Müdigkeit, Erschöpfung, Verwirrung. Im Gegenteil: Die Protagonistin fühlt sich Tag und Nacht wach, sogar energiegeladener als sonst. Die Schlaflosigkeit eröffnet ihr neuen Lebensraum, schenkt mehr Lebenszeit, denn sie liest sich in langen Nächten durch dicke Bücher wie Anna Karenina.

Wie üblich schildert Murakami seine Hauptfiguren in all ihrer Alltäglichkeit. Im Vergleich zu der belanglosen Oberflächlichkeit ihrer Tage, erfahren die Nächte der Protagonistin unberechenbare Tiefen. Geleitet von den surrealen Illustrationen der deutschen Comiczeichnerin Kat Menschik wird deutlich, wie sehr es trotz gleichbleibender Äußerlichkeit im Inneren brodelt.

Das Ende hat mich dann eine Weile schlaflos gelassen …


posted under Wortreich | No Comments »

Bettgeschichten für Heiratswillige

Januar27

Lesezeichen als Fundstücke sind ein unerschöpflicher Quell tiefenpsychologischer Einblicke. Besser als manch privater Blogeintrag. Kürzlich hat mir das Bücherroulette wieder ein hübsches Exemplar beschert. Dieses Mal trug das Lesezeichen mehr als eine schnelle Notiz. Gleich ein ganzer Dialog, offenbar in einem Seminar hingekritzelt. Die Rückseite des Zettels (Stichwort: “Schülerbefragung”, “Arbeitsbogen”) lässt mich zwei Lehrramtsstudentinnen vermuten.

Wir erleben die romantische Vorfreude auf eine nahe Hochzeit:

“Sag mir mal was Schönes, was Du/Ihr Euch zur Hochzeit wünscht!!”

“Was braucht man denn so als Verheiratete?”

“Ich hätt’ da ja ‘ne Idee, aber ich weiß net …”

“Ja wat denn?”

“Na, ich hätt’ Lust, Euch Bettwäsche zu bemalen. Fändest Du das doof?”

“Nö – die darf nur nicht zu bunt sein, sonst kriegt Sven Pusteln. Weiche, warme Farben. Kein Gelb!!!”

“Zum Glück habt Ihr keine Ansprüche!”

Ob das Geschenk ankam? Wir sehen die Lehramtsstudentin neben ihrem frischangetrauten Sven in einem kreativen Traum aus Schlaflos-Rot oder Bodenständig-Braun “flittern”. Hoffentlich mit günstigem Einfluss für die Frühphase des jungen Eheglücks. Pragmatische Romantik als Beziehungsstrategie – vielleicht klappt das ja …

Herr Buddenbohm macht sich auch gerade Gedanken über Hochzeiten und ihre Folgen.


posted under Wortreich | No Comments »

Buchextrakt (32) Florian Illies: 1913. Der Sommer des Jahrhunderts.

Januar17

Florian Illies, der sich als Buchautor bislang vor allem der eigenen Generation widmete (Generation Golf), erweckt in seinem neuesten Buch das Jahr 1913 aus hundertjährigem Schlaf. Lebendig zeichnet er die Kunst- und Kulturszene im alten Europa nach, indem er in kurzen, meist nur halbseitigen Anekdoten wiedergibt, was wichtige Größe der Zeit gerade so trieben. Er deckt dabei schwerpunktmäßig die Politik (Lenin, Stalin, Hitler, Kaiser Franz-Joseph, Kaiser Wilhelm II.) ebenso ab wie die Literatur (z. B. Thomas und Heinrich Mann, Kafka, Hesse, Rilke, Musil, Lasker-Schüler) und die Kunstszene (der Blaue Reiter, Picasso, Klimt, Kokoschka). Darüber hinaus bekommen auch Zeitgenossen wie Freud, Einstein, Wittgenstein und Steiner ihren Platz.

Geografisch wechselt Illies vor allem zwischen den kulturellen Kulminationspunkten Paris, Berlin, München und Wien. Die Zusammenstellung quer durch die Kulturgeschichte des Jahres lebt einerseits von pointiert erzählten biografischen Details und andererseits durch (ungeahnte) Querverbindungen. Wo diese nicht durch tatsächliche Begegnungen oder Bekanntschaften gegeben waren, stellt Illies sie kurzerhand aus räumlicher, zeitlicher oder emotionaler Nähe selbst her:

„Albert Einstein, der große Relativitätstheoretiker, zeigt sich als Praktiker der Realität. 1913, als Einstein in Prag lebte, entfremdet er sich zusehends von seiner Frau Mileva. Er erzählte ihr nichts mehr von seinen Forschungen, seinen Entdeckungen, seinen Sorgen. Und sie schweigt und lässt sich gehen. Es geht ihnen mindestens so schlecht wie Hermann Hesse und seiner Frau in Bern und Arthur Schnitzler und seiner Frau in Wien, um zum Trost nur zwei zu nennen. Abends jedenfalls geht Einstein ganz allein in die Kaffeehäuser oder Kneipen und trinkt ein Bier – vielleicht sitzen nebenan Max Brod, Franz Werfel und Kafka, aber sie kennen sich nicht. Und dann schreibt Albert Einstein in diesem März 1913 – genau wie Kafka – lange Briefe nach Berlin. Er hat sich bei einem Besuch in seine Cousine Elsa verliebt, die gerade frisch geschieden ist. Er schreibt ihr schreckliche Dinge über seine Ehe: Sie schliefen nicht mehr in einem Zimmer, er vermeide es, unter allen Umständen, allein mit Mileva zu sein, denn sie sei eine ‚unfreundliche, humorlose Kreatur‘ und er behandle sie wie eine Angestellte, die er leider nicht entlassen könne. Dann steckt er den Brief in einen Umschlag und ab damit zur Post – und so reisten dann vermutlich im selben Postsack von Prag nach Berlin die brieflichen Wehklagen Einsteins und Kafkas an die fernen Sehnsuchtsfrauen Felice und Elsa.“ (S. 79)

Chronologisch nach Kalendermonaten geordnet illustriert Illies auf diese Weise den Jahrhundertsommer. Hie und da fügt er kleine zeitgenössische Schnipsel ein, wie den Auszug aus einem Damenblättchen, das die aktuelle Mode beschreibt. Ganz nebenbei wird dabei das Schönheitsideal deutlich, das vor 100 Jahren dem heutigen diametral gegenübersteht:

„Man kann sich für die schönsten Kleider direkt Schnittmuster bestellen. Interessant sind die möglichen Hüftbreiten: 116, 112, 108, 104, 100 und 96. Darunter ist nichts denkbar. Erst in der Nummer 9 hat dann die Redaktion ein Erbarmen und kündigte groß an ‚Mode für schlanke Damen‘! Und es folgt mit großer Anteilnahme der schöne Satz: ‚Sie haben es nicht immer leicht, die schmächtigen überschlanken Evastöchter, sich gut und der Mode entsprechend anzuziehen. Da heißt es zu Kompromissen zu greifen und das, was die Natur versagt, durch geschickte, faltige Arrangements zu kaschieren.‘ Was die Natur versagt – Schlankheit gilt 1913 noch als eine Art Schicksalsschlag.“ (S. 80)


posted under Wortreich | No Comments »

Mitmachprojekt: 50 Shades of Fiction

Januar12

2013 in 50 Büchern und 50 Bildern.

Für alle, die gerne lesen und fotografieren, veranstaltet ÉKRITURE in diesem Jahr ein schönes Mitmachprojekt. “50 Shades of Fiction” gibt 50 Buchtitel vor – Klassiker im weitesten Sinne – und lädt dazu ein, ein passendes Foto zum Buch einzureichen. Das Bild kann auf Inhalt, Atmosphäre oder andere Aspekte anspielen, die dem Leser wichtig sind:

“Es muss nicht wortwörtlich der Inhalt des Buchtitels abgebildet werden. Stattdessen geht es auch darum, der Stimmung Ausdruck zu verleihen, die der jeweilige Titel in einem auslöst, oder etwas einzufangen, was man mit genau diesem einen Buch verbindet, falls man es gelesen hat. Den fotografischen Mitteln sind keine Grenzen gesetzt.”

Die selbst geschossenen Fotos (und Gedanken) werden jeweils im eigenen Blog veröffentlicht, Ende 2013 gibt es dann eine Zusammenfassung bei  ÉKRITURE.

Das Schöne ist, dass Reihenfolge und Zeitpunkt der Veröffentlichung im eigenen Blog frei wählbar sind. Dadurch bleibt genug Zeit und Muße, um vielleicht den einen oder anderen Klassiker vor dem Fotografieren (wieder) zu lesen. Insgesamt also ein Projekt, dass Lust aufs Fotografieren, aufs Lesen und überhaupt aufs Kreativsein macht. Dabei wird es sicher spannend, die verschiedenen Fotoideen zu einem Buchtitel zu vergleichen.

Hier geht’s zum Mitmachprojekt für Literatur und Fotografie. Dort findet sich auch die Liste der ausgewählten 50 Buchtitel und Details zum Ablauf.

Der Witterung nach könnte Fräulein Smillas Gespür für Schnee den Anfang machen, wir werden sehen …


Buchextrakt (31) Mine Sö?üt: Das Haus der fünf Sevimen

Oktober4

Ein schöner Fund im Bücherroulette. Wie der Untertitel schon sagt, handelt das Buch “von Geistern und Träumen”. Gemeint sind keine netten Feen, sondern dämonische Dschinn, die Spezialisten in Schadenszauber und Menschen-verrückt-machen sind. Trotzdem ist die Erzählung alles andere als ein Horrorschmöker im klassischen Sinne.

Formal umfasst das Buch die Aufzeichnungen des Psychiaters Doktor Samimi, der in Istanbul ein eigenwilliges Experiment durchführt, um die (Nicht-)Existenz von Geistern und Feen zu beweisen. Da er selbst von Kindheit an von ihnen besucht oder besser heimgesucht wird, nimmt er die ganze Angelegentheit ziemlich persönlich. Folglich erfüllt das Experiment auch nicht eben die Standards naturwissenschaftlicher Forschung.  Objektivität und Freiwilligkeit der Versuchspersonen gehen ihm völlig ab und die geisterhaften Wesen sind alles andere als eine kontrollierte Variable. Von Berufs wegen hält Dr. Samimi sie ohnehin für bloße Wahrnehmungsstörungen, aber was er als Krankenprotokolle über die Geschichten seiner Patienten notiert, ähnelt eher einem (alb)traumartigen Märchenbuch.

Die Stärke des Buches liegt in einer gelungenen Kombination: Poetische Fantasiegeschichten werfen scheinbar harmlos ihren schützenden Märchenmantel über eiskalte Fälle von Traumatisierung. Fast unmerklich gelingt die Gegenüberstellung von Innen- und Außenperspektive der “besessenen” geistig Gestörten (oder besser: Geister-Gestörten).

“Aus den Fenstern des vorderen Hauses schauten neugierig Augenpaare, und ihre Blicke trafen hin und wieder auf die fünf Personen. Doch keiner der Bewohner des Fünf-Sevimen-Hauses merkte, dass er beobachtet wurde. Ihrer aller Blick galt allein dem Meer, das zwischen den beiden Häusernzu sehen war. Als packte der Ausblick die Schiffe, die Vögel und sämtlichen Kleinkram ein und entschwände, wenn sie auch auch nur einen Augenblick die Augen davon lösten. Als ständen die Wasser still, die nur für sie flossen, wenn sie bloß einmal den Blick abwandten. Als stürben sie, wenn sei einen Tag nicht ans Fenster treten würden.” (S. 12)


posted under Wortreich | No Comments »

Hermann Hesse zum 50. Todestag

August9

„Ich weiß von Geistern gar nichts, ich lebe in meinen Träumen. Die anderen Leute leben auch in Träumen, aber nicht in ihren eigenen, das ist der Unterschied.“

(Hermann Hesse)

Bücherroulette

Juli12

Heute mal eine Leseempfehlung der besonderen Art.  Eine Meta-Empfehlung sozusagen, denn sie bezieht sich nicht auf bestimmte Buchtitel. Bücherroulette ist vielmehr eine Methode, neue Bücher zu finden und sich dabei selbst zu überraschen.

Jedes Mal, wenn ich in einer Bibliothek ein bestimmtes Buch suche und schließlich finde, setze ich auch auf seine direkten Nachbarn. Ganz gleich, was da steht – ich sehe es mir an. Das ist besonders spannend, wenn ein Regal chronologisch geordnet ist. Da lehnt neben dem Rilke auch schon mal eine Einführung in Molekularbiologie. Zugegeben, wenn es sich um Molekularbiologie handelt, nehme ich das Buch nicht unbedingt mit, aber ich versuche, Ausnahmen zu vermeiden. Es erweitert nämlich den Horizont auf ungeahnte Weise, in “Zufallsfunden” zu schmökern.

Bücherroulette in einer Buchhandlung ist gewissermaßen Glücksspiel mit geringem Einsatz, weil man selten unversehens von der Belletristik in die Sachbuchabteilung gerät. Das Spielprinzip bleibt aber gleich: Erhöhe die Vielfalt und gewinne ungeahnte Einsichten.

Stephen Fry regte mal spaßeshalber an, dass Buchportale Empfehlungen nicht nach dem Kriterium der Ähnlichkeit mit früheren Käufen vorschlagen sollten, sondern im Gegenteil nach größtmöglicher Unähnlichkeit. Solche Appetithappen für den kreativen Geist wären dann gewissermaßen Online-Bücherroulette.


posted under Wortreich | No Comments »
« Older EntriesNewer Entries »
  • Ich mach was mit Büchern