Esther Grau

inspired by dreams

Buchextrakt (30) Haruki Murakami: 1Q84 (Bd. 1 + 2)

Juni23

Tengo, Mathematiklehrer mit schriftstellerischen Ambitionen, und Aomame, Kampfsporttrainerin mit gelegentlichen Spezialaufträgen, sind die beiden Protagonisten und damit auch die beiden Perspektiven der Geschichte. Sie spielt in Tokio, und zwar im Jahr 1984. Bezügen zu Orwells gleichnamigem Buch lassen sich schon am Titel von Murakamis Werk ablesen.

Mehr möchte ich gar nicht verraten von dieser seltsam surrealen Erzählung, die den Leser einspinnt wie die vielbeschworene “Puppe aus Luft”. An der Oberfläche nichts als Realismus, jede Alltagshandlung der Figuren steht dem Leser überdeutlich vor Augen, doch darunter wirkt eine verschobene, wenn nicht verkehrte Welt. Eine latente Bedrohung durch die “Little People” und ihre mehr als mythische Kraft zieht sich durch die Erzählung.

Es ist schwer, die subtile Stimmung des Buches  in einer kurzen Leseprobe einzufangen, dennoch ein Versuch:

“Er fuhr nach Hause, schlief ein und träumte. So realistisch hatte er schon lange nicht mehr geträumt. Er war ein winziges Stück eines gigantischen Puzzles. Aber er veränderte ständig seine Form, weshalb er nirgendwo richtig hineinpasste. Außerdem musste er parallel zu der Aufgabe, seinen Platz im Puzzle zu finden, in einem vorgeschriebenen Zeitraum die Notenblätter für ein Paukenstück aufsammeln. Sie waren von einem starken Windstoß davongeweht und überall verstreut worden. Blatt für Blatt hob er sie auf. Nun musste er die Seitenzahlen überprüfen und in die richtige Reihenfolge bringen. Dabei veränderte er wie eine Amöbe immer wieder seine Form. Er konnte die Situation einfach nicht unter Kontrolle bringen. Irgendwann tauchte Fukaeri auf und ergriff seine linke Hand. Plötzlich hörte Tengo auf, seine Gestalt zu verändern. Auch der Wind legte sich, und die Notenblätter flogen nicht mehr herum. Tengo war erleichtert. Doch währenddessen lief auch seine Zeit ab. ‘Jetzt ist Schluss’, mahnte Fukaeri mit leiser Stimme und sogar in einem ganzen Satz. Die Zeit blieb pünktlich stehen, und die Welt endete. Die Erdrotation kam zum Stillstand. Alle Geräusche verstummten. Alle Lichter erloschen.” (S. 371)

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