Esther Grau

inspired by dreams

Buchextrakt (33) Haruki Murakami: Schlaf

Februar6

Kein Buch für schlaflose Nächte – dafür ist es viel zu kurz. Das macht die Erzählung andererseits zu einer guten Bettlektüre. Die Hauptfigur, eine 30-jährige Hausfrau und Mutter in Tokio, erlebt nach einem vermeintlichen Albtraum Nacht um Nacht Schlaflosigkeit. Dieser Zustand überkommt sie nicht zum ersten Mal in ihrem Leben. Früher kannte sie ihn als etwas Quälendes:

“Mit meinen Fingerspitzen berühre ich gleichsam den äußersten Rand des Schlafes. Doch sofort ist mein Bewusstsein zur Stelle. Ganz leicht schlummere ich ein. Aber mein Bewusstsein, nur durch eine dünne Wand getrennt, ist hellwach und kontrolliert mich. Während mein Körper schwankend durch die Morgendämmerung irrt, spürt er den Blick und den Atem meines Bewusstseins ständig neben sich. Ich bin ein sich nach Schlaf sehnender Körper und ein Bewusstsein, das wach bleiben will.”

Die aktuelle Phase ihrer Schlaflosigkeit erfährt die Hauptfigur aber vollkommen anders. Denn sie ist nicht mit den üblichen Folgen verbunden: bleierne Müdigkeit, Erschöpfung, Verwirrung. Im Gegenteil: Die Protagonistin fühlt sich Tag und Nacht wach, sogar energiegeladener als sonst. Die Schlaflosigkeit eröffnet ihr neuen Lebensraum, schenkt mehr Lebenszeit, denn sie liest sich in langen Nächten durch dicke Bücher wie Anna Karenina.

Wie üblich schildert Murakami seine Hauptfiguren in all ihrer Alltäglichkeit. Im Vergleich zu der belanglosen Oberflächlichkeit ihrer Tage, erfahren die Nächte der Protagonistin unberechenbare Tiefen. Geleitet von den surrealen Illustrationen der deutschen Comiczeichnerin Kat Menschik wird deutlich, wie sehr es trotz gleichbleibender Äußerlichkeit im Inneren brodelt.

Das Ende hat mich dann eine Weile schlaflos gelassen …


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